Märchen Teil 4

Liebe Leser/innen,

in diesem Artikel möchte ich Märchen definieren und von anderen Erzählungen differenzieren. Außerdem möchte ich euch weitere bekannte Märchenmotive und Figuren vorstellen, sowie ein Buch, mit dessen Hilfe ihr eure eigenen (märchenhaften) Geschichten erfinden könnt.

In Teil zwei der Märchenartikelreihe ging es um die Unterscheidung von Volks- und Kunstmärchen. Im heutigen Artikel möchte ich darauf eingehen, was Märchen generell ausmacht und wie man sie von anderen Erzählungen wie Schwank, Sagen, Legenden und Fabeln unterscheiden kann.

Märchen:

Märchen sind fantastische Erzählungen, die nicht an einen festgelegten Ort und an eine festgelegte Zeit gebunden sind. Oftmals kombinieren sie reale Hintergründe (z. B. arme Leute als Protagonisten) mit zauberhaften Elementen (z. B. sprechende Tiere). Die Handlung vollzieht sich meist an einem Problem/Konflikt des/der Protagonisten, wofür am Ende eine Lösung gefunden wird. Märchen haben in der Regel ein gutes Ende, welches das Wunschdenken der Menschen widerspiegelt (z. B. armes Mädchen heiratet Prinz und hat keine existentiellen Nöte mehr).

Schwank:

Ein Schwank ist eine humorvolle Erzählung über eine komische Begebenheit, die meist im bäuerlichen/ kleinbürgerlichen Milieu spielt. Meist geht es um einen auf den ersten Blick unterlegenen, aber schelmischen Protagonisten, der seine Feinde durch Witz und Geschick unschädlich macht. Der Feind scheint zunächst im Vorteil zu sein, hat aber aufgrund seiner Einfalt das Nachsehen gegenüber dem Schelm. Ein Beispiel dafür ist „das tapfere Schneiderlein“, das es mit Riesen und wilden Tieren aufnimmt.

Märchen und Schwänke klar zu trennen, ist nicht so einfach. Wie auch die Märchen, wurden Schwänke zunächst mündlich überliefert. In der Märchensammlung der Gebrüder Grimm finden sich einige Märchen, die auch als Schwank kategorisiert werden, wie z. B. das schon genannte „tapfere Schneiderlein“.

In vielen Schwänken stehen die Freuden und Leiden des Ehelebens im Mittelpunkt, beispielsweise in „die kluge Else“, welche auch in der Grimm`schen Märchensammlung zu finden ist. Hier zeigt sich auch, dass der „Schelm“ nicht immer das letzte Wort haben muss: Else, die anfangs mit ihren faulen Tricks durchkommt, wird schließlich von ihrem Ehemann überführt und es nimmt kein gutes Ende mit ihr.

Es gibt auch viele Schwänke, in denen Tiere die Protagonisten sind. Hiervon finden wir in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm z.B. „die Bremer Stadtmusikanten“ und „das Lumpengesindel“: Die Tiere setzen sich gegen Menschen durch, die ihnen ja von Natur aus überlegen sein sollen.

Sage:

Sagen sind volkstümliche Erzählungen, die wie die Märchen ursprünglich mündlich überliefert wurden. Im Unterschied zu Märchen werden reale Orte, Personen oder besondere Ereignisse genannt. Die Sagen sollen den Zuhörer im Glauben lassen, dass sie von wahren Begebenheiten berichten. Allerdings beinhalten die Sagen häufig übernatürliche Elemente. Ein Beispiel dafür ist „der Rattenfänger von Hameln.“ Es geht um einen Mann, der mit seinem Flötenspiel die Stadt Hameln von einer Rattenplage befreit, weil die Tiere den Klängen blind folgen. Da die geizigen Stadtherren ihm seinen versprochenen Lohn nicht geben, rächt er sich, indem er ein zweites Mal die Flöte spielt und diesmal alle Kinder aus der Stadt lockt, sodass sie nie mehr zurückkehren. Dies ist eine sogenannte Lokalsage, da sie sich konkret in der Stadt Hameln abgespielt haben soll.

©Tom

In vielen Sagen sind mythologische Stoffe aus vorchristlicher Zeit verarbeitet. Ein Beispiel dafür ist „die wilde Jagd“, die während der Rauhnächte stattfinden soll: Bedrohliche, übernatürliche Gestalten sollen über den Himmel jagen, die Unheil ankündigen. Hier ist der Ort des Geschehens offen, aber der Zeitpunkt ist festgelegt.

Viele Sagen ranken sich um reale Personen. Besonders oft ist dies bei den religiösen Sagen zu finden. Seit Vormarsch des Christentums werden Geschichten von Personen, die besonders fest im Glauben gestanden haben sollen und dadurch Wunder erlebten, erzählt. Ein Beispiel dafür ist die Sage von „Notburga in Hochhausen am Neckar“.

Legende:

Legenden unterscheiden sich von den Sagen in so fern, dass sie nicht in mündlicher, sondern in schriftlicher Form überliefert wurden. Es gibt besonders viele religiöse Legenden, wahrscheinlich aus dem Grund, dass Mönche zu den ersten Bevölkerungsgruppen zählten, die schreiben und somit die Legenden verbreiten konnten.

Fabel:

Fabeln sind kurze Erzählungen mit einer belehrenden Absicht/Moral. Sie sind teilweise in Versform, also in Reimen, geschrieben. Die Protagonisten sind meistens Tiere, manchmal aber auch Pflanzen oder Gegenstände, in denen sich jedoch menschliche Eigenschaften erkennen lassen. Viele Tierarten kommen wiederholt in den Fabeln vor und verkörpern stets die gleichen Eigenschaften: Der Löwe steht für Macht, der Fuchs für Schlauheit, der Wolf für Rücksichtslosigkeit, die Ameise für Fleiß…

Es gibt Fabeln mit einem und Fabeln mit mehreren Protagonisten. Oft trifft ein Tier eine falsche Entscheidung oder handelt töricht, wofür es am Ende gerade stehen muss, was dem Leser/Zuhörer eine Lehre sein soll. Ein Beispiel für eine Fabel mit einem Protagonisten ist „der Fuchs und die Trauben“. Kurz zusammengefasst merkt der Fuchs, dass die Trauben, die er begehrt, außer seiner Reichweite sind. Um sich selbst davon zu überzeugen, nicht enttäuscht zu sein, behauptet er, die Trauben wären sauer. Die Moral soll den Leser/Zuhörer zum Nachdenken anregen, wie man mit Enttäuschungen besser umgehen kann.

©Tom

In vielen Fabeln treffen mehrere Tiere von gegensätzlicher Wesensart aufeinander und es kommt zu einem Konflikt zwischen ihnen. Die Moral ist oft, dass, wer sich unmoralisch/unsozial verhält, am Ende das Nachsehen hat. Ein Beispiel hierfür ist die Fabel „der Fuchs und der Storch“. Hier rächt sich der Storch am Fuchs für eine Ungerechtigkeit.

In Abgrenzung zum Märchen gibt es in der Fabel, abgesehen davon, dass die Tiere sprechen können und sich teilweise menschlich verhalten, keine magischen Elemente.

Mit dem Schwank haben Fabeln gemeinsam, dass sie oft mit einem gewissen „augenzwinkernden“ Humor geschrieben sind. Doch während beim Schwank der Humor im Vordergrund steht und der Held durchaus unmoralisch sein kann, geht es in der Fabel hauptsächlich dazu, mit Hilfe lustig anmutender Situationen die Moral zu transportieren.

Die Geschichte der Fabeln reicht weit zurück. Die ältesten Funde stammen aus der Zeit um 2000 v. Chr. Ein sehr bekannter Fabel- Dichter war Äsop, ein griechischer Sklave, der im 6. Jh. V.Chr. lebte. Es gibt heutzutage zahlreiche Bücher mit seinen Fabeln zu kaufen.

Im Folgenden möchte ich euch bekannte Märchenfiguren bzw.- Motive vorstellen: Das Einhorn, die Blume und den Brunnen.

Einhorn:

Das Einhorn ist ein bekanntes Fabelwesen, das in der abendländischen, in der morgenländischen und in der fernöstlichen Mystik vorkommt. Auch in Märchen tritt es immer wieder auf. Es kann die Gestalt eines Pferdes oder einer Ziege haben und hat meist weißes Fell. Auf der Stirn trägt es ein spitzes, gewundenes Horn. Manchmal wird es mit einer wilden Mähne und mit einem Löwen- Schweif dargestellt.

Das bekannteste Märchen, in dem ein Einhorn auftritt, ist wohl „das tapfere Schneiderlein“. Darin wird es als ein gefährliches, wildes Tier beschrieben, das das Schneiderlein jagen und dem König bringen muss. Dies kann damit zusammenhängen, dass das Horn der Fabeltiere als sehr wertvoll erachtet wurde, da ihm Heilkräfte nachgesagt wurden. Tatsächlich wurde im Mittelalter „Einhornpulver“ von Handelsreisenden als Wundermedizin verkauft. In Wahrheit handelte es sich um verriebenes Horn der Stoßzähne von Narwalen. Daran sieht man, dass das Einhorn nicht nur als Fantasiewesen galt, sondern dass die Menschen durchaus in Erwägung zogen, dass es irgendwo in der Tiefe der Wälder leben könnte. 

Im christlichen Kontext wird das Einhorn als liebliches Tier beschrieben, das Unschuld und Reinheit verkörpert. Auf Kirchenbildern ist manchmal die Jungfrau Maria mit einem Einhorn zu sehen, das den Kopf in ihren Schoß legt. Diese Darstellung steht für die Menschwerdung Gottes durch Maria.

In China und Indien gelten Einhörner als Glückssymbol.

Brunnen:

©Tom

In vielen Märchen spielt ein Brunnen eine zentrale Rolle. Er symbolisiert in der Regel eine Verbindung zu einer anderen Welt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Märchen „Frau Holle“, in dem zwei Schwestern, indem sie in einen Brunnen fallen, in ein Feen- Reich in den Wolken gelangen. Der Brunnen kann also selbst die Naturgesetze außer Kraft setzen: Die Mädchen fallen nach unten, kommen aber weit über der Erde an.

In „der Froschkönig“ steht die Begegnung einer Prinzessin mit einem verwunschenen Prinz in Gestalt eines Frosches, der im Brunnen lebt, im Mittelpunkt. Hier ist die Verbindung zu einer anderen Welt also die Verbindung zum anderen Geschlecht.

In „Undine“ verliebt sich ein Mensch in eine Nixe, die über einen Brunnen zu ihm Kontakt aufnehmen kann. Am Ende bestraft sie ein Fehlverhalten von ihm mit seinem Tod. Hier handelt es sich also wiederum um die Begegnung zwischen Mann und Frau, aber auch um die Begegnung mit der dunklen/ bösen Unterwelt.

Blume:

Die Blume ist ein Symbol für Gefühle. Im Märchen steht sie oft für die Verletzlichkeit des Helden/ der Heldin. In der Blume sind Schönheit und Vergänglichkeit vereint sodass sie ein melancholisches Symbol für die menschliche Lebensspanne sein kann.

©Tom

Die Rose, als „Königin der Blumen“, findet besonders oft Einzug in Märchen. Ein bekanntes Beispiel ist „Dornröschen“, wo die Prinzessin hundert Jahre lang hinter einer Rosenhecke schläft.

Auch im weniger bekannten Märchen „Jorinde und Joringel“ spielt eine rote Blume eine zentrale Rolle: Sie weist Joringel den Weg zu seiner Braut Jorinde und kann diese aus ihrem Gefängnis befreien. Diese Blume steht also wahrscheinlich für Liebe und Sexualität.

„Däumelinchen“ wird aus einer Blume geboren und heiratet zum Schluss den „Blumenprinzen“.

In „die Schöne und das Biest“ steht die Rose, die in jedem Jahr, in dem der Prinz keine Partnerin findet, ein Blatt verliert, für die unerfüllte Liebe.

Buchtipp:

Wer Lust hat, selbst (märchenhafte) Geschichten zu erfinden, kann sich von dem Buch „Der Phantasie eine Stimme geben“ von Nancy Mellon inspirieren lassen.

In dem Buch werden alle möglichen Settings, die in eine Geschichte einfließen können und sie lebendig machen, thematisiert: Figuren, Motive, Landschaftsformen, Jahreszeiten…

Hintergrundinformationen, praktische Tipps und Übungsaufgaben verpackt die Autorin in einen fließenden, träumerischen Schreibstil, sodass man das Gefühl hat, man lese ein Märchenbuch.

Nancy Mellon ist Märchen- und Geschichtenerzählerin und Puppenspielerin und bringt in ihrem Buch auch zahlreiche Beispiele aus ihrer Arbeit mit Kindern und Erwachsenen ein.

Ich hoffe, der vierte Artikel der Märchen- Reihe war interessant für Euch.

Viele Grüße, Eure Lyra

Quellen:

Beitrag von Lyra Silvana
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