Märchen Teil 5: Der Tod im Märchen & Märchen in der Trauer- Begleitung

Liebe Leser/innen,

im fünften und letzten Teil meiner Märchen- Artikelreihe soll es um das Thema Tod im Märchen gehen.

Außerdem stelle ich Euch ein Buch über die Sterbe- und Trauerbegleitung mit Märchen vor.

Der Tod im Märchen:

„Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

„Und sie waren glücklich bis an ihr Lebensende.“- So enden sehr viele deutschsprachige Märchen. Damit erinnern sie daran, dass der Tod jedem Menschen früher oder später bevor steht.

In manchen Märchen tritt der Tod in personifizierter Form auf: Zum Beispiel in „Gevatter Tod“.  Märchen, in denen der Tod eine Rolle spielt, sind sehr ernst und der Tod verliert nichts von seinem Schrecken. Im Gegensatz dazu sind andere Märchen oft humorvoll und nehmen angstbesetzte Instanzen, wie z.B. den Teufel, auf die Schippe. Dieser kann oft vom Märchenhelden überlistet werden.

© Tom

Der Märchenheld in  „Gevatter Tod“ versucht zwar, den Tod zu überlisten, doch dieser lässt nicht mit sich spaßen und der Märchenheld muss sterben.

Allerdings wird auch die Gerechtigkeit des Todes hervorgehoben:

Der Vater, der einen Taufpaten für sein Kind sucht, lehnt den lieben Gott ab, da dieser seiner Meinung nach die Reichen belohnt und die Armen bestraft. Auch den Teufel lehnt er ab, da dieser die Menschen verführt. Doch als der Tod seine Dienste als Pate (= Gevatter) anbietet, willigt der Vater ein, weil dieser zwischen den Armen und den Reichen keinen Unterschied macht- er holt sie alle. 

In anderen Volksmärchen, in denen nicht der personifizierte Tod auftritt, fällt auf, dass die Protagonisten nie sterben- jedenfalls nicht endgültig. „Schneewittchen“ zum Beispiel stirbt durch den vergifteten Apfel und erwacht wieder zum Leben, als die Sargträger stolpern und das Apfelstück aus ihrer Kehle springt. Auch „Rotkäppchen“ und die „Sieben Geißlein“ überleben es, vom jeweiligen Wolf gefressen zu werden. Und „Dornröschen“ wird durch einen Kuss aus ihrem todesähnlichen Schlaf erweckt.

Dieser vorrübergehende Tod im Märchen könnte symbolisch für Wandel stehen: Beispielweise war Schneewittchen vor ihrem Tod ein junges Mädchen, das bei den sieben Zwergen wohnte- als sie im Sarg wieder zum Leben erwacht, hält ein König um ihre Hand an und macht sie damit zur Königin.

Die Antagonisten der Märchenhelden müssen jedoch auch in den Volksmärchen zumeist endgültig sterben. Ihr Tod findet oft auf brutale Weise statt: So wird zum Beispiel die Hexe bei „Hänsel und Gretel“ verbrannt und das „Rumpelstilzchen“ reißt sich selbst seine Gliedmaßen aus und wird anschließend vom Erdboden verschluckt. Die Bösen bekommen also, was sie verdienen und die Zuhörer empfinden unweigerlich Schadenfreude.

Diese vordergründige Grausamkeit ist sicher ein Grund dafür, warum sich heutzutage viele Eltern entscheiden, ihren Kindern keine Märchen vorzulesen. Doch aus pädagogischer Sicht kann der Tod des Bösen durchaus wichtig sein: Dadurch hat das Kind Gewissheit, dass die Bedrohung endgültig ausgelöscht ist und die gute Ordnung wieder hergestellt wird.

Außerdem wird dem Kind eine „spielerische“ Auseinandersetzung mit schwierigen Themen ermöglicht: Es kann lernen, dass die Angst, der Tod, das Böse usw., Teil des Lebens sind. Eltern können Märchen als Brücke nutzen, um mit ihrem Kind darüber ins Gespräch zu kommen.

Trauerbegleitung mit Märchen:

Eine Ausnahme bilden die Kunstmärchen, denn hier sterben die Protagonisten häufig endgültig. Beispiele dafür sind „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und „Der standhafte Zinnsoldat“. In diesen Märchen, die sich grundlegend von den Volksmärchen unterscheiden, bringen die Autoren damit bewusst einen ernüchternden Realitätsbezug ein und distanzieren sich von den unendlichen Möglichkeiten der Märchenwelt. (siehe Teil 2 der Märchenartikel- Reihe)

Im Folgenden möchte ich Euch berichten, wie es dazu kam, dass ich mich für das Thema Trauerbegleitung mit Märchen interessiere:

Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester hatte ich immer wieder mit Menschen zu tun, die dem Tod nahe waren. Doch nur einmal hatte ich die Ehre, eine alte Frau in ihren letzten Minuten zu begleiten. Es war während einem Praxiseinsatz im Hospiz: Eine ganz besondere,  zarte und schöne Erfahrung.

Die Frau hatte sehr lange gegen eine Krebserkrankung gekämpft und verbrachte die letzten Monate ihres Lebens im Hospiz, als klar war, dass man ihr nicht mehr helfen konnte. Obwohl sie Medikamente bekam, litt sie oft unter starken Schmerzen. Ich bewunderte es, dass sie trotz allem ihr Leben immer wieder genießen können: Sie freute sich über Familien- Besuch, liebte eisgekühlte Getränke und malte im Bett liegend, wunderschöne Bilder, die Szenen aus der Bibel und aus ihrer Heimat zeigten. (Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, sie kam aus Syrien) Diese Bilder hängten wir Krankenschwestern und ihre Angehörigen in ihrem Zimmer, um ihr Bett herum, auf.

Ihr Sohn, der sich immer sehr um seine Mutter gekümmert hatte, konnte an diesem Morgen, an dem sie im Sterben lag, leider nicht rechtzeitig kommen. So kam es, dass ich ihr Beistand leisten sollte.

Als ich ins Zimmer kam, atmete sie sehr laut und angestrengt (sog. Schnappatmung). Ihr Gesicht war verzerrt und hatte einen gequälten Ausdruck, sie stöhnte, redete wirr vor sich hin und blickte unruhig um sich. Ich erschrak, hatte Mitleid mit ihr und fühlte mich unwohl. Ich war unsicher, wie ich mit ihr umgehen sollte. Sollte ich mit ihr reden? Und wenn ja, worüber? Alles kam mir falsch vor. Also tat ich, was eine erfahrene Krankenschwester mir geraten hatte: Ich setzte ich mich an ihr Bett, hielt ihre Hand und kühlte ihre Stirn, die glühte. Sie umklammerte meine Hand sofort mit einem unerwartet kräftigen Griff.

Mit der Zeit wurde sie ruhiger. Ihre Atemzüge wurden immer schwächer und unregelmäßiger. Ihr Gesicht, das bis dahin gequält und verzerrt gewesen war, entspannte sich und ihre Hand lag nur noch locker meiner. Jetzt war es im Zimmer ganz friedlich und leise. Die alte Frau wirkte auf einmal ganz zufrieden. Ab und zu hob und senkte sich ihr Brustkorb noch- und irgendwann hörte die Bewegung auf. Ich wusste, dass sie tot sein musste, doch es fiel mir schwer, das zu glauben. Sie sah noch genauso lebendig und beseelt aus, wie zuvor.

Diese Situation beeindruckte mich tief. Deshalb beschäftigte ich mich danach mit dem Thema Sterbebegleitung.  

Buchtipp: „Trauerbegleitung mit Märchen“ von Jana Raile:

© Tom

Dabei stieß ich auf das Buch „Trauerbegleitung mit Märchen“ von Jana Raile. Die Autorin beschreibt, wie Märchen Sterbenden eine Stütze sein können- und denjenigen, die sie beim Sterben begleiten und um sie trauern.

Ich hatte seither nicht mehr die Gelegenheit, jemanden beim Sterben zu begleiten. Aber sollte es in Zukunft nochmal dazu kommen, möchte ich versuchen, Märchen mit einfließen zu lassen.

Jana Raile, Erzählkünstlerin, schildert lebendig und berührend Erfahrungsberichte aus ihrem Berufsalltag: Bei ihren Besuchen bei Sterbenden und deren Angehörigen, sowie in den Trauergruppen, die sie leitet, erzählt sie Märchen. Diese fungieren als Brücke zwischen Menschen aller Altersgruppen und helfen ihnen über Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit hinweg. Vielen Menschen helfen sie sogar dabei, sich mit dem Tod zu versöhnen bzw. ihn zu akzeptieren.

Nicht nur die Erfahrungsberichte machen das Buch interessant: Es ist reich gefüllt mit zahlreichen Märchen, die mal mehr, mal weniger offensichtlich mit dem Tod zu tun haben. Im Anschluss gibt Jana Raile dazu Gedanken unter dem Aspekt des Sterbens, welche ich sehr interessant finde. Gerade auf bekannte Märchen wie „Frau Holle“ oder „Hans im Glück“, bekommt man dadurch oft eine ganz neue, überraschende Perspektive. Dadurch ist das Buch auch eine Fundgrube für diejenigen, die sich für Märcheninterpretationen interessieren.

Häufig werden diese mit Fragen oder praktische Übungen für den Leser abgerundet. Es gibt Wahrnehmungsübungen, Gedankenreisen und vieles mehr.

Liebe Leser/- innen, ich hoffe diese Märchen- Artikel- Reihe war interessant für Euch!

Viele Grüße, Eure Lyra

Quellen:

https://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/der_gevatter_tod

Buch: Jana Raile- Trauerbegleitung mit Märchen. Param Verlag, Ahlerstedt, 2011

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