Das Licht der Heimat

Das Heimatlicht

Was würde ich darum geben, die Welt nochmal mit Kinderaugen zu sehen und die Magie zu spüren. Aber ich bin reif und groß und der Alltag frisst mich auf. Ich versuche, mein Leben zu sehen, wie es ist und darüber vergesse ich gerne mal den Zauber, der uns alle umgibt. Aber dann in meinen Träumen sehe ich es, das Licht der Heimat, das mir den Weg weist und meine trüben Gedanken erhellt. Ich ziehe dann meine Jacke und Schuhe an und laufe ans Meer, um die Macht der Natur zu erleben, die mich den Zauber wieder spüren lässt. Ein Gefühl von Leichtigkeit, die sich einstellt, erfüllt mich dann und ich weiß: alles ist gut so, wie es ist.

Vielleicht gefällt dir meine kleine Geschichte. Ich würde mich freuen, wenn du die Magie auch spürst …

Das Licht der Heimat

Ich lebe hier an der Nordsee und weiß, dass noch viel Zeit vergehen muss, ehe ich groß bin. Aber ich entdecke meine Heimat jeden Tag neu. Ich fühle mir hier so wohl. So vergeht der Nachmittag bei meiner Tante und meinem Onkel. Später am Abend geht mein Onkel zum Fenster in der Küche und bittet mich zu sich. Ich sehe in der Ferne hinter dem Deich etwas weit aufs Meer hinaus leuchten. Ich frage meinen Onkel, was das ist und er erzählt mir eine Geschichte. „Das ist das Licht der Heimat, meine Kleine. Es leuchtet hell am Himmel und die Seeleute finden dadurch ans Ufer zurück. Das Licht ist ein Geheimnis und nur bestimmte Menschen können es entflammen.“ Ich lausche ihm und werde müde und gerate ins Träumen. Alles ist so friedlich an diesem Abend, nur der frische Wind weht und pfeift um die Hausecken des Reetdachhauses. Ich kuschele mich in eine Decke auf dem Sofa und meine Tante gibt mir eine Tasse mit dampfendem Kakao. Ich lausche dem Wind draußen und trinke meinen Kakao. Ich denke noch eine ganze Weile über die Geschichte meines Onkels nach und sinke irgendwann in tiefen Schlaf …

gemalt von Esmeralda

Es ist Herbst und nach einer unruhigen Nacht naht der Morgen. Ich habe von den tosenden Wellen geträumt und sah wie ein Fischer auf dem weitem Meer nicht nach Hause fand. Als ich aufgewacht bin, war ich immer noch traurig und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass der Mann nach Hause zurück finden würde. Ich erzähle meinem Onkel davon und er sagt, dass genau dafür das Licht eben da ist. Es weist den Seefahrern den Weg nach Hause. Ich verstehe jetzt, was er meint und esse eilig mein Frühstück. Draußen ist der Himmel wolkenverhangen, als ich mich anziehe und mich von beiden verabschiede. Als Glücksbringer gibt mir mein Onkel einen kleinen Keramik-Leuchtturm mit. Ich laufe eilig nach Hause und klingele an der Tür. Ich sehe die Blätter von der Kastanie vor unserem Haus fallen und schaue zu, wie sie im Wind tanzen. Mir ist kalt und ich denke über den nahenden Winter nach. Mama öffnet die Tür und ich betrete den Flur, ziehe meine Jacke und Schuhe aus und gehe hindurch, um meinem Papa „Hallo“ zu sagen. Das Mittagessen verläuft ganz entspannt und ich laufe die Treppen zu meinem Zimmer rauf. Ich stelle den Keramik-Leuchtturm auf das Fensterbrett und lege mich zufrieden auf mein Bett.

Mein Vater klopft abends an meine Zimmertür und betritt mein Zimmer. Als er den kleinen Leuchtturm sieht, fragt er erstaunt: „Schatz, wo hast du ihn her?“ „Von Onkel Heinrich, er schenkte ihn mir.“ Mein Vater läuft zu dem Objekt und sagt: „Mein Kind, das ist eine große Aufgabe für dich, bist du ihr gewachsen? Es ist keine normale Figur, Onkel Heinrich glaubt daran, dass sie Zauberkräfte hat.“ Ich setze mich ruckartig auf. „Sag, Vati, wie meinst du das?“ Er kommt zu mir und atmet tief durch. „Diese Figur kann Seefahrern das Leben retten, meint dein Onkel und du hast nun eine große Aufgabe, mein Kind.“ Ich spitze die Ohren: „Wie meinst du das Papa?“ „Wenn draußen ein Sturm tobt, musst du ein Teelicht erleuchten und dein Fenster weit öffnen. Du stellst das Teelicht in den Leuchtturm und dann erhellt sich der Himmel und führt die verirrten Seeleute sicher zurück an Land. Du bist nun eine Wächterin über das Licht der Heimat. Hüte es gut!“ „Aber Dadi, ich weiß nicht, ob ich das kann?“ „Das schaffst du, Klara … Onkel Heinrich scheint Vertrauen zu dir zu haben, enttäusche ihn nicht und denke dran, du kannst Leben retten, wenn du ihnen gewissenhaft heimleuchtest.“

In dieser Nacht wälze ich mich im Bett hin und her. Immer wieder geht mein Blick zu der Keramikfigur und ich würde am liebsten diese Last loswerden und meinem Onkel das Dekoobjekt wieder geben. Ich traue mir das nicht zu. Als der Morgen da ist, schäle ich mich geschafft und müde aus dem Bett. Ich schaue aus dem Fenster und es regnet draußen. Ich gehe ins Bad und wasche mich. Dann ziehe ich mich an und gehe nach unten. Ich setze mich an den Esstisch und verschränke erschöpft meine Arme vor meiner Brust. Ich lege sie auf dem Tisch ab und dann meinen zerwuschelten Kopf darauf. Meine Mama tritt an mich heran und stellt mir eine Tasse Früchtetee, der mit Honig gesüßt ist, hin. „Deine Nacht war nicht gut, oder?“ Ich nicke in meine Arme hinein und seufze. „Kann man wohl sagen!“ Dann richte ich mich auf und meine Mutter setzt sich neben mir auf einen Stuhl. „Mach dich bitte nicht so fertig, du wirst hineinwachsen in deine Aufgabe, glaub mir.“ „Mama ich bin erst 9 Jahre, wie soll das werden, ich will diese Aufgabe nicht haben, ich kann das einfach nicht!“ Es kullern dicke Tränen aus meinen Augen und ich schluchze. „Hab keine Angst, trockne deine Tränen und trinke deinen Tee, ich mach dir ein Nougatbrot. Kopf hoch, Schatz!“

Ich esse eilig mein Brot und dann schlürfe ich den warmen Tee. Ich fühle mich gleich viel wohler. „Ich denke, ich schaffe das wirklich!! Mein Onkel hat es ja auch geschafft. Mama, darf ich auf den Deich und in den Hafen sehen, wie die Schiffe kommen?“ Meine Mami lächelt. „Das ist eine gute Idee, Klara. Mach das. Und nun gehe dir deine zerzausten Haare kämmen. Dann kannst du raus.“ Ich hüpfe vom Stuhl und schlendere positiv gestimmt nach oben. Ich gehe ins Bad und kämme meine braunen langen Haare. Dann mache ich mir einen Zopf und wische mir den Schokoladenmund sauber. Ich singe vor mich hin, als ich nach unten laufe, um mir meine Jacke und Schuhe anzuziehen. Ich schließe den Reißverschluss und verlasse das Haus. Auf meinem Weg zum Hafen lausche ich dem Wind, während der Regen auf meine Kapuze prasselt. Als ich die Treppe zum Deich hinauf laufe und hinunter sehe, ist das ganze Wasser gerade da. Die ersten Schiffe laufen in den Hafen, als ich mich hier oben auf eine Bank setze. Der Regen hört auf und die dunklen Wolken ziehen weiter ins Innere des Landes. Ich stecke meine kalten Hände in die Jackentaschen und sitze einfach nur den halben Nachmittag so da.

Als es langsam dämmert und der Abend näher kommt, mache ich mich auf den Heimweg. Ich gehe langsam durch die Straßen meines Dorfes und habe den MP3 Player laut gedreht. In meinen Ohren erklingen wunderschöne Melodien. Ich schlendere weiter und irgendwann stehe ich vor meinem Zuhause. Ich öffne mit meinem Schlüssel die Tür und drinnen kommt mein Vater mir entgegen. „Onkel Heinrich hat angerufen und sich erkundigt, wie es dir geht.“ Ich nicke und streife meine Jacke ab. Dann steige ich aus meinen Schuhen: „Papa, mir geht es erstaunlich gut, ich fühle mich kraftvoll und der Nachmittag auf dem Deich war so schön.“ „Das freut mich, meine Kleine. Und hast du noch mal nachgedacht? Du weißt, es verlassen sich viele Menschen auf dich.“ Ich umarme meinen Vater und sage laut: „Ich kriege das hin, ich will den Menschen helfen und möchte, dass es allen gut geht.“ „Gut, dann hier, nimm das Radio. Ich habe die Frequenz so eingestellt, dass du immer den Wetterbericht hören kannst. Stell es auf deine Kommode, neben dein Fenster und dann lausche der Stimme im Radio.“ Ich nicke und nehme es mit hoch. Dann stelle ich es genau so hin, wie Papi gesagt hat und schalte das Radio an. Ich lausche der erklingenden Musik und lege mich müde auf mein Bett.

In dieser Nacht soll alles anders werden. Ich schrecke hoch, als ich durch das Sausen eines Sturms geweckt werde, der draußen tobt. Ich höre im Radio der Musik zu und laufe eilig zum Fenster. Draußen ist es stürmisch und mein Herz klopft mir aus dem Hals. Ich lausche der Ansage im Radio. Es wird eine Unwetterwarnung ausgesprochen und ich höre, dass eine besorgte Frau eines Fischers ihren Mann noch vermisst. Also laufe ich zur Schublade meiner Kommode und nehme ein Teelicht heraus, schnell entzünde ich es. Ich stelle es in den Leuchtturm und öffne weit mein Fenster. Ich warte, aber nichts passiert. Eine Weile vergeht und ich werde immer ängstlicher. Ich frage mich, wann das blöde Licht weit hinauf leuchtet in den Himmel. Ich stütze mich auf das Fensterbrett und schicke Stoßgebete in den Himmel. Als ich meine Augen schließe und inne halte, erscheint plötzlich hinter dem Deich ein helles Leuchten. Es ist das Licht des fernen Leuchtturms, das weit auf das Meer hinaus scheint.

Ich sehe noch eine ganze Weile zu, wie das Licht im Leuchtturm scheint und lasse das Teelicht noch eine ganze Weile weiter brennen. Der Regen prasselt durch mein Fenster, als ich so da stehe und nach draußen schaue. Ich lächele und hoffe sehr, dass der Fischer zurück findet in den Heimathafen. Nach einer kleinen Ewigkeit schließe ich mein Fenster und lösche das Teelicht. Ich gehe ins Bett und höre noch eine Weile die Musik im Radio. Ich versinke in schöne Träume. So vergeht die Nacht. Morgens weckt mich ein Sonnenstrahl, der durch mein Fenster scheint und an meiner Nasenspitze kitzelt. Ich muss niesen und schiebe meine Bettdecke ein Stück weg. Ich denke daran, dass dieser Morgen so schön ist. Als plötzlich jemand an meiner Zimmertür klopft. Kurz darauf betritt mein Vater mein Zimmer mit einer warmen Tasse Kakao. Ich strecke mich und richte mich auf, um die süßliche Schokomilch zu trinken. „Schatz, das war ein Sturm heute Nacht! Ich hoffe, dir geht es gut?!“ „Papa, ich habe das Teelicht heute Nacht entflammt, aber ich weiß nicht, ob ich es war, die das Licht im Leuchtturm entzündete, oder ob es der Leuchtturmwärter war. Naja, ist ja auch eigentlich egal, die Hauptsache ist, dass das Licht dem Seefahrer heimleuchtete.“

Ich trinke eilig meinen Kakao aus und dann laufe ich zum Radio und drehe die Nachrichten laut auf. Der Fischer bedankt sich gerade für das Licht, das ihm sicher den Weg in den Hafen leuchtete und seine Frau bedankt sich bei dem Leuchtturmwärter. Ich freue mich, aber das wirft viele Fragen in mir auf: „Vati, meinst du wirklich, dass der Keramik-Leuchtturm magisch ist und ich geholfen habe, das Licht an zu machen?“ Er lächelt lieb und sagt: „Mein Schatz, ich weiß nicht, ob es Magie gibt, wir Erwachsenen können Magie nicht so spüren, wie ihr Kinder. Wir geben euch Fantasien und wenn ihr fest daran glaubt, dann werden kleine Wunder wahr. Dein Onkel erzählt gern mal zauberhafte Geschichten, aber wichtig ist, dass du daran glaubst, egal was ein Anderer darüber denkt, glaube weiter daran.“ Er umarmt mich und ich sage seufzend: „ Ja Papa, ich habe verstanden.“ Er hebt mit seiner linken Hand mein gesenktes Kinn und sagt Mut machend: „Sei nicht traurig, ihr Kinder spürt noch die Magie, es ist egal, was wir Älteren glauben. Das Licht der Heimat leuchtet in den Kinderaugen und das ist die Magie, die zählt.“

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