Es ist zur Mittagszeit an einem lauen Junitag, als ich in Schleswig aus der Regionalbahn hüpfe, den Rucksack schultere und mich zu Fuß auf die Suche nach dem Wikingerdorf an der Schlei mache. Ich durchstreife Wohnsiedlungen, Wiesen, eine Innenstadt mit alten Gebäuden, eine stark befahrene Straße. Dann bin ich in Busdorf – dem Ortsteil Schleswigs, in dem das Museum angesiedelt ist. Eine Gaststätte mit dem verheißungsvollen Namen „Odins“, das plötzlich zu meiner Linken auftaucht, zeigt mir, dass ich mich dem Ort der Begierde nähere. Nur noch einmal die Straße überqueren, eine Eintrittskarte im Container der Touristeninfo kaufen und dann laufe ich nach just erteilter Anweisung schon wieder in die Pampa hinein – angeblich würde das Wikingerdorf gleich hinter dem nächsten Hügel versteckt sein…
Einige knorrige Eichen später stehe ich dann tatsächlich auf dem besagten Hügel und sehe die Umrisse des nahen Dorfes. Seit kurzem ist die Siedlung, die dort friedlich am Meer döst, zusammen mit der nahe gelegenen Wallanlage Danewerk sogar Weltkulturerbe der UNESCO. So klein Haithabu auch ist, so wichtig war es einst als Umschlagplatz: von dort aus wurden Waren bis nach Skandinavien, Irland und sogar bis ins oströmische Reich verschifft.
Vor mir tummeln sich ein paar lehmig-braune Hütten hinter geflochtenen Weidezäunen. In der Ferne wiegt sich sanft das Gras im Wind. Ich atme tief ein. Der würzige Rauch aus diversen Feuerstellen der Siedlung steigt mir in die Nase. Die Atmosphäre ist gut, irgendwie beschwingt. Es sind nur wenige Touristen da. Ich habe noch ein wenig Zeit bis zum Vortrag der Geschichtenerzählerin und streife um und durch die Hütten, bewundere die Stände mit dem hübschen Wikingerschmuck, den die geschickten neuzeitlichen Wikingerdamen und –herren selbst nach alten Techniken angefertigt haben und beobachte das kraftvolle Arbeiten des Schreiners zwei Häuser weiter, der gerade mit energischen Zügen an einem Baumstamm herumhobelt.
Die Siedlung ist im Halbkreis angeordnet und durch einen Wall vom Land abgegrenzt. Zum Meer hin führt ein Steg einige Meter ins Wasser hinein, an dessen Seite ein schmaler Wikingerboot in der aufgebrachten See schaukelt.
In der Ferne zieht eine graue Gewitterfront auf, aber noch bin ich guter Dinge, dass sie an uns vorüberziehen wird.
Ich setze mich auf das raue Holz und lasse die Beine in der Luft schaukeln. Was für ein herrliches Stückchen Erde! Oder Meer. Kein Wunder, dass sich die Menschen seit jeher nur allzu gerne hier niedergelassen haben… Nur wenige Meter vom Anlegeplatz entfernt grasen rotbraune zottelige Rinder. Ich schließe die Augen, fühle den herrlich milden Wind durch meine Haare streichen, rieche die sanfte Mischung aus Meer, verwittertem Holz, fernem Feuerplatz und Freiheit.
Die Schlei ist ein schlanker, verästelter Arm der Ostsee (quasi ein Mini-Fjord, wenn man so möchte) im nördlichen Schleswig-Holstein. Durch seine Lage an zwei sich kreuzenden Handelswegen sowie den Anschluss ans Meer und die Nähe zum Fluss Treene, der seinerseits über die Eider in die Nordsee mündet, wurde Schleswig schon früh zum wichtigen Handels- und Warenumschlagplatz. Nach einer bewegten Geschichte, die geprägt ist von wirtschaftlichen und territorialen Interessen der damaligen Herrscher und Eroberer, wurde die Siedlung im Jahr 1050 zerstört und 1066, nach wenig erfolgreichen Wiederaufbau-Versuchen, bereits wieder angegriffen und geplündert. Das war das Ende der Siedlung, auf einen erneuten Aufbau wurde fortan verzichtet. Haithabu ist ein Stück deutsch-dänischer Geschichte, bildete die Siedlung mit dem Verteidigungswall doch die südliche Grenze des damaligen Dänemarks, das sich mit dem Wall vor Eindringlingen aus südlichen Gefilden zu schützen versuchte.
Nachdem ich einige Minuten lang meinen Gedanken nachgehangen bin, blicke ich auf die Uhr: es ist jetzt gleich Zeit für den Vortrag der Geschichtenerzählerin. Auch wenn ich mich sonst eher nicht mit Erzählungen, Märchen oder Mythen ködern lasse, so war ich doch gespannt darauf, ob ich mich an ein paar der Geschichten aus der Edda, die ich von der resoluten Dame mit eindringlicher Stimme erwartete, erinnern können würde.
Ich wurde nicht enttäuscht. Die Geschichtenerzählerin gab einige der bekanntesten Geschichten rund um Thor zum Besten (kindgerecht, damit auch die jungen Zuhörer, die sich zahlreich in den vorderen Reihen des Siedlungsplatzes eingefunden hatten, den Schandtaten des Hammerschwingers folgen konnten), so dass die Zuhörer die geduldige Runde nach einiger Zeit angeregt wieder verlassen konnten. Ich durchstöberte noch ein paar der Hütten, labte mich an der herrlichen Frühsommerstimmung und der unvergleichlichen Atmosphäre des Ortes und gewahrte dann dem immer lauter werdenden Donnergrollen. Das, was vor einer dreiviertel Stunde noch als dunkle Wolkenwand in der Ferne erschien, kam jetzt direkt auf die Siedlung zu. Wer den Donnergott ruft… 😉
Ich machte mich zum Aufbruch bereit. Rucksack auf, ein paar letzte Fotos schießen, noch einmal den schönen Glasschmuck bewundern und die beilartigen Thorshämmer, die dort aus Zinn auch selbst gegossen werden können, und trabte den Hügelwall hinauf. Nun fing es auch noch an zu nieseln. Ich beschloss, einen anderen Rückweg zum Bahnhof zu nehmen und bog auf gut Glück auf eine mit alten Bäumen gesäumten Pfad ein.
Jetzt donnerte es bereits ordentlich – fast wie ein Abschiedsgruß. Das Tröpfeln des einsetzenden Regens war durch den Filter des Blätterdachs alter Buchen zu einem beruhigenden Rauschen geworden. Beseelt von so vielen schönen Eindrücken stapfte ich weiter auf meinem Weg zwischen den Buchen – irgendwo würde ich am Ende schon wieder herauskommen…
Kraftort?
Für mich fühlt sich diese uralte Siedlung danach an – nicht nur, weil hier so viel passiert ist, sondern auch der wunderschönen Landschaft wegen, die die geschichtlichen Ereignisse einen Rahmen setzt und erlebbar macht, indem sie die Fantasie anregt und das Nachspüren von Gegebenheiten ermöglicht.
Leider befand sich das Wikingermusem zum Zeitpunkt meines Besuchs gerade im Umbau, so dass ich keinen Blick hinein werfen konnte. Es hat seit Mai 2018 allerdings wieder geöffnet. Auf der Website https://haithabu.de findet ihr Informationen zu Preisen, Veranstaltungen und Öffnungszeiten. Das Museum, das sich selbst als eines der bedeutendsten archäologischen Museen Deutschlands bezeichnet, soll sehr sehenswert sein und stellt die perfekte Ergänzung zur gelebten Vergangenheit der rekonstruierten Siedlung dar.
Für einen kleinen Einblick in die Siedlung und die Umgebung empfehle ich euch dieses Video.
Im Download-Bereich auf der Website (ein bisschen runterscrollen) findet ihr auch eine PDF mit dem aktuellen Jahresprogramm zum Download. Die meisten der Mitmachaktionen rund um Handwerk der Wikinger sind gleichermaßen für Kinder und Erwachsene geeignet.
Adresse des Museums:
Wikinger Museum Haithabu
Am Haddebyer Noor 3
24866 Busdorf
Quellen und weiterführende Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haithabu
Ich konnte die Atmosphäre richtig schön nachempfinden ♡
Liebe Noir,
das freut mich und ich wünschte, ich könnte euch noch viel mehr von dieser schönen Atmosphäre mitgeben. 🙂
Viele Grüße