https://en.wikipedia.org/wiki/The_High_Priestess#/media/File:RWS_Tarot_02_High_Priestess.jpg
1. Beschreibung der Karte
Eine junge Frau, die das Gewand einer Geistlichen trägt, sitzt zwischen zwei Säulen, die den Eingang eines Tempels darstellen sollen. Hinter ihr hängt ein Banner mit floralem Muster. Im Hintergrund blitzt zwischen den Ritzen zwischen Banner und Säulen das Meer hervor. Zu den Füßen der Frau steht eine Mondsichel, in ihren Händen hält sie die Schriftrolle der Tora und auf ihrer Brust prangt das Kreuzsymbol. Auf dem Kopf trägt die Hohepriesterin eine eigenartig anmutende Haube mit zwei Hörnern und einer Scheibe in der Mitte. Die linke Säule ist schwarz und trägt mittig den Buchstaben „B“, die rechte Säule ist weiß und mit dem Buchstaben „J“ versehen. Die Kapitelle der Säulen sind mit zackenartigen Mustern verziert, die an Lotosblüten erinnern. Der Gesichtsausdruck der jungen Frau ist undurchdringlich und mysteriös, sie scheint den Betrachter direkt anzublicken.
2. Deutung der Farben
- Helles Blaugrau (Priesterinnengewand): Blau steht u. a. für Ruhe, Tiefgründigkeit, Harmonie, Wissen, Treue. Blau ist auch die Farbe des Wassers bzw. des Himmels, was einerseits für die Welt der Gefühle, für tiefe Einsichten und Spiritualität und andererseits für Wissen, Ideen, Klarheit und Wissensvermittlung stehen kann.
- Weiß (in der Säule, im Kopfschmuck, Kreuz und als Akzent im Gewand der Frau): Unschuld, Reinheit, Keuschheit, Weisheit, Spiritualität, Erleuchtung, Selbstreflexion, Ruhe/Stille, in sich gekehrt sein, Tod
- Gelb (als Akzent in der Mondsichel und im Fleisch des Granatapfels, im Boden sowie den Palmenstämmen): Offenheit, „Strahlen“ – eine anziehende Wirkung nach außen haben bzw. eine belebende, anregende, erhellende Wirkung.
- Grün (Palmblätter): Fruchtbarkeit, Pragmatismus, Natürlichkeit, Ruhe, Entwicklung, Wachstum, Kreativität
- Rot (als Akzent im Granatapfel und den Palmfrüchten): Energie, Kraft, Macht, Lebenslust, Leidenschaft, Sex, Ärger, Zorn, Macht
- Schwarz (Säule): Mysterium, Geheimnis, Schutz, Vertuschung, Okkultismus, Nacht, Erde, Tod, Trauer, Verlockung, Individualismus
3. Deutung der Symbole
- Kreuz, Mondsichel, Tora-Rolle: Symbole für die drei großen patriarchalischen Weltreligionen, die auf den Wüstenvater Abraham zurückgehen und die westliche Welt auf beinahe jeder Ebene des Lebens entscheidend geprägt haben. Ein Großteil der Menschen in der alten Welt war zum Zeitpunkt der Entstehung der Tarotkarten Anhänger dieser Glaubensrichtungen, die westliche Mysterientradition ist mit diesen Religionen verflochten.
- Kopfschmuck der Hohepriesterin: Hörnerhaube mit mittiger Scheibe. Erinnert an die ägyptische Fruchtbarkeitsgöttin Hathor (Mütterlichkeits- und Fruchtbarkeitsaspekt). Vielleicht ein Hinweis dafür, dass die Hohepriesterin die Aufgabe hat, altes Wissen zu mehren und auf einen fruchtbaren Boden auszubringen, auf dass es gedeihe und in die Welt hinaus getragen werde. Das Symbol erinnert auch ein wenig an den „Triple Moon“, das Dreifaltigkeitssymbol aus dem Götinnenkult, das für die drei Lebensalter der Frau steht.
- Mondsichel zu den Füßen und blaues Gewand: Könnte man als Hinweis an die Darstellung der Mondsichel-Madonna sehen; die Gottesmutter ist zugleich Himmelskönigin.
- Gewand mit Faltenwurf, der an Wellen erinnert: Die Robe der Priesterin scheint mit dem Meer im Hintergrund, das zwischen den Säulen hervorblitzt, zu verschmelzen; verantwortlich dafür ist der besondere Faltenwurf. Über der Brust ist eine Art Wasserfallkragen im Gewand (symbolisch vielleicht für das Wissen, das von Kopf und Herz hinabströmt und dabei die Symbole aller Religionen berührt. Zu ihren Füßen erinnert das Gewand an Wellengang bzw. Meeresgischt, weil es dort durch die weißen Akzente und die fließenden, sich kräuselnden Formen förmlich mit dem Meer im Hintergrund ineinander fließt. Das lässt die Vermutung zu, dass das Meer und die Hohepriesterin miteinander in Verbindung stehen. Wasser steht für unsere Gefühle, Träume, unser Seelenleben, die Mysterien des Lebens, für Spiritualität und tiefe Einsichten. Diese Dinge beherrscht die Hohepriesterin durch ihr Amt zu einem gewissen Grad.
- Position der Hohepriesterin: Füße auf dem Boden, im Hintergrund das Meer: Sie ist Mittlerin zwischen den Welten – der Realität und der feinstofflichen Welt.
- Schleier auf dem Kopf: Erinnert an Mariendarstellung oder die Darstellung gläubiger Frauen (auch orthodoxer jüdischer Frauen oder Muslima) und kann für Keuschheit, Unschuld, Reinheit, Zölibat und Hingabe an den Glauben stehen. Deutet vermutlich auf die Jungfräulichkeit der Hohepriesterin hin.
- Granatäpfel: Symbol für Fruchtbarkeit durch die vielen hundert Samen und die nahrhafte Frucht
- Dattelpalmen: immergrüner Lebensbaum, Fruchtbarkeit, Hoffnungsträger
- Position des Lakens mit den floralen Abbildungen: Evtl. ein Hinweis auf die Vereinigung von Mann und Frau und das Mysterium der gegenseitigen Liebe
- Eine Hand ist verdeckt: Geheimnisse, Mysterien, die nicht öffentlich preisgegeben werden; der Schleier, der Geheimnisse verhüllt
- Zwei Säulen: stellen die Säulen Jachin (Stabilität) und Boas (Kraft) am Eingang von König Salomos Tempel dar, die den Bestand des Tempels symbolisieren sollen
- Hohepriesterin sitzt im Durchgang eines Tempels, der zum Meer hinausführt: wenn man das Meer als Symbol für das Seelenleben, Gefühlswelt, Geheimnisse und Selbsterkenntnis betrachtet, könnte es bedeuten, dass man sich erst mit verschiedenen Religionen, spirituellen Wegen und vor allem sich selbst auseinandersetzen muss, um dorthin zu gelangen.
4. Deutung der Karte
Wem die Hohepriesterin erscheint, den fordert sie auf, inne zu halten und einen Blick in das eigene Seelenleben zu werfen, um dort Lösungen zu finden. Sie ist eine Aufforderung dazu, die Mysterien des Lebens kennen zu lernen. Die Hohepriesterin wirkt sehr weiblich, aber sie stellt eher die dunkle Seite der Weiblichkeit dar mit dem Aspekt der Gefühle, Intuition und Träumen. Der Weg auf der Suche nach Spiritualität und tiefen Einsichten ist nie vergebens und immer befruchtend für die eigene Entwicklung. Wer sich auf die Suche nach sich selbst begibt, der kann nur wachsen. Eine Hilfestellung auf der Suche nach den Geheimnissen können dabei Religionen oder spirituelle Wege bieten.
5. Deutung der Schattenseite
Der Realität entgleiten, den Boden unter den Füßen verlieren, sich gefangen nehmen lassen durch leere Worthülsen religiöser Schriften und dabei den Weg zu sich selbst (= den Weg zum Meer) nicht finden.
Auch: Keinen Zugang zu seinen Gefühlen und seinem Seelenleben finden; Stagnation, Erstarren.
6. Fazit zur Karte
- „Was du nicht in dir selbst findest, wirst du in der Welt nie finden können.“ (Vielleicht auch ein Hinweis auf ein hermetisches Prinzip – wie innen, so außen; oft ist es doch so, dass uns unsere Umwelt unser Seelenleben widerspiegelt…)
- „Erkunde deine Geheimnisse, deine dunklen Seiten und du wirst daraus lernen und wachsen.“
- „Wenn du deinen Platz in der Welt finden möchtest, dann lerne erst dich selbst kennen.“