Eines Tages ist etwas passiert, du bist gegangen. Ich stehe hier nun also allein und kann meine Tränen nicht zurückhalten. Mich zieht es runter, die vielen wirren Gedanken die umherwirbeln und die Stiche in mein Herz geben. Wenn ich von meiner Arbeit in der Bibliothek nach Hause komme, liegen noch ein paar Sachen von dir herum. An denen ich rieche und sie an mich kuschele. Wirst du bei ihr glücklicher sein als bei mir?
So kann es nicht weiter gehen, ich nehme eine große Kiste und packe all die schönen Erinnerungen von dir hinein. Ich verstaue sie ganz hinten in meinem Kleiderschrank und packe einen Koffer mit allerlei Kleidung und Kosmetik. Mich erdrückt meine Wohnung, ich muss mal raus. Ich setze mich in mein Auto und fahre an die Ostsee in eine kleine Pension. Mit jedem Kilometer, den ich mich weiter von zuhause, mich von dir entferne, geht es mir besser. Es ist Frühlingsanfang und die Luft ist kalt und klar. Ich checke ein. Die Frau am Tresen ist schon älter. Sie gibt mir meinen Schlüssel und sagt lieb: „Glück findet man nicht wenn man es sucht, es kommt zu einem wenn man es nicht erwartet.“
Ich betrete mein Zimmer, was liebevoll eingerichtet und sauber ist, stelle meinen Koffer ab und lege mich erschöpft auf das Bett. Schon wieder wirbeln meine Gedanken im Kopf umher. Ich kneife die Augen zu und atme tief ein und aus. In meinen Gedanken sehe ich dein Gesicht aufleuchten, ich nehme meine Hände und drücke sie auf mein Gesicht, alles in mir schreit und es schmerzt. Ich richte mich auf und da klopft es an der Tür. Die Dame von der Anmeldung tritt herein und bringt mir eine Schale mit Gebäck und ein kleines Gastgeschenk. Ich öffne das Säckchen, gebe den Inhalt auf meine Hand und erblicke ein paar Muscheln und einen Bernstein. Die Frau führt mich an das Fenster und zieht die Vorhänge auf. Sonnenlicht strömt ins Zimmer. Sie nimmt meine Hand mit dem Stein und als sie ihn in das Sonnenlicht hält, spiegelt sich ein warmes Licht auf mein Gesicht. Sie sagt: „Weißt du, all die Dinge die passieren, sind bestimmt, aber mit jeder Sekunde die vergeht, versiegt eine Träne im weiten Meer der Ostsee und es werden für jede Träne neue Bernsteine an den Strand gespült. Sie sollen mit ihrem warmen Licht die Tränen trocknen und der Seele gut tun. Hebe ihn auf und lasse das Licht wieder in dir leuchten, das Feuer lodern. Du bist noch so jung… viel zu schade, um so traurig zu sein.“ Ich stehe noch eine ganze Weile so da und lasse das orangefarbene Licht auf mich scheinen. Die Dame geht und schließt leise die Tür hinter sich. Ich stecke den Stein in meine Jackentasche und hänge meine Jacke auf einen Bügel. Dann gehe ich duschen, esse das Gebäck und lege mich ins Bett. Mir ist warm und wohlig und ich lächele beim Einschlafen. Die Nacht ist ruhig und alles ist gut. Am Tag darauf frühstücke ich ausgiebig, ziehe meine Jacke und Stiefel an und gehe an die Ostsee. Es ist kühl und ein kräftiger Wind weht, als ich den Strand hinter den Dünen betrete. Ich laufe eine ganze Weile durch den feuchten Sand und lausche der Melodie der Wellen, die klingen, als ob sie mir etwas zuflüstern wollen. Die Sonne scheint über mir. Ich schließe meine Augen erneut und atme die salzige Luft tief ein. Auf meinem Mund schmecke ich das Salz. Ich breite meine Arme aus und drehe mich so schnell ich kann im Kreis. Raum und Zeit verschwimmen. Ich bin glücklich und habe meine Sorgen für diesen Moment vergessen. Ich genieße einfach nur wie die Minuten hier an der Ostsee davon fliegen. Wie all meine Sorgen aufs Meer hinaus fliegen und in den Wellen versinken.
Als ich so herum wirbele, fällt mir der Bernstein wieder ein. Ich fasse in die Tasche und hole ihn heraus, ich halte ihn in das Sonnenlicht vor mein Gesicht und das Licht bricht sich in ihm… ich trete ein paar Schritte zurück, als es passiert, eine Person stößt von hinten an mich an und ich falle fast hin, als mich zwei Arme umschließen und mir hoch helfen.
Der Bernstein fällt zu Boden. Erschrocken drehe ich mich um. Da trifft mein Blick die braunen Augen eines jungen Mannes. Er sagt: „Fallen Sie immer in die Arme fremder Männer oder bin ich einfach ein Glückspilz?“ Mir stockt der Atem bei dem Anblick der bernsteinbraunen Augen des Mannes. Ich richte mich auf und stottere. „Verzeihen Sie, das wollte ich nicht, ich war wohl weit weg in Gedanken.“„Wie heißen Sie?“, fragt er und lächelt mich an. „Marlene!“, antworte ich. „Marlene, so so, was dagegen wenn wir gemeinsam spazieren gehen und uns unterhalten?“ „Nein, sehr gern…“ Erst denkt man bei sich, es kann nichts Gutes mehr kommen und dann fällt man dem Glück in die Arme. Der Nachmittag verging wie im Flug, die Tage rauschten wie die Wellen dahin. Jannis ist wirklich ein toller Mann und ich genieße jede Minute mit ihm. Die Frau hatte wirklich recht mit ihrem Bernstein-Zauber, meine Tränen sind getrocknet und ich konnte durch meinen Ausflug an die Ostsee die Sorgen loslassen. Das Licht scheint nun wieder in mir und leuchtet in den Farben des Bernsteins, den ich dem Sand und somit dem Meer zurück gab und so mein Glück finden konnte.