Der Kosmos erhört Wünsche

Vor acht Jahren im Dezember wurde ich erneut mit der Thematik Jakobsweg konfrontiert. Ein Freund wollte ins Kino und sich den Film „Ich bin dann mal weg“ nach dem gleichnamigen Buch von Hape Kerkeling anschauen. Nun, einen
Kinofilm kann man sich ja mal anschauen. Allerdings war es bei mir der Auslöser, um neu über gewisse Dinge nachzudenken.
Es war eine Zeit, wo ich eine schwere Krankheit überstanden hatte und hinzu kam, dass ich mich beruflich nicht mehr wohl fühlte. Es waren keinerlei religiösen Beweggründe, mich auf solch ein Abenteuer einzulassen. Die Bilder der Natur und das Motto mal auszubrechen aus dem Alltagsleben waren entscheidend. Auch die Frage der Gesundheit spielte eine Rolle, denn durch meine Krankheit wurde mir bewusst, dass ich im Hier und Jetzt leben muss und das „Morgen“ sehr ungewiss ist. Somit war mir klar, wenn ich den Jakobsweg gehe, dann muss ich es kurzfristig auch angehen.

Nach dem Kinobesuch stand fest, dass ich im Sommer auf den Jakobsweg gehe. Viele Vorbereitungen folgten. Ich sah mir viele Youtube Videos an – von der Packliste bis zu Wegbeschreibung. Die komplette Ausrüstung musste ich mir erst einmal kaufen/zusammenstellen. Nebenbei las ich das Buch von Paulo Coelho „Auf dem Jakobsweg“. Eine mystische Geschichte mit Exerzitien und Erlebnissen auf diesem Weg. Die Vorfreude auf diesen Weg stieg von Tag zu Tag.
Mein Jakobsweg sollte der klassische Camino Frances sein, welcher von Saint Jean Pied de Port (Frankreich) bis nach Santiago de Compostela (Spanien) führt und ca. 800 Kilometer lang ist.
Mit Urlaub und Überstunden konnte ich mir genügend Freiraum für dieses Vorhaben freischaufeln.
Was man alles mitnimmt, ist zwar individuell, aber es sollte wirklich nur das notwendigste sein. Der Rucksack sollte max. 10% des eigenen Körpergewichtes betragen. Bei 90 Kg waren es bei mir halt nur 9 Kg – und wenn der Rucksack leer schon über 3 Kg wiegt, ist das sehr wenig, was man einpacken sollte. OK – mein Rucksack überstieg dieses Gewicht und wog zu viel.
Wer sich auf diesen Weg macht, sollte viel Wert auf funktionelle Wäsche (schnelltrocknend und leicht) legen, denn jedes Gramm zählt. Auf dem Handy hatte ich GPS-Tracks, um notfalls den Weg zu finden.

DAS RITUAL DES BOTEN (Paulo Coelho auf dem Jakobsweg)
Ein Vorfall bewegte mich ebenfalls. Ich war alleine auf dem Weg. Ich hatte gefrühstückt und auch im Rucksack hatte ich Kekse und Getränk dabei. Irgendwie bekam ich Heißhunger. Ich sehnte mich nach etwas fruchtigen, saftigen – ein Obst – der Drang danach stieg. Aber weit vor und hinter mir war nichts als Wald und Berge. Kekse waren kein Ersatz dafür und der Heißhunger wuchs.
Wie aus dem Nichts saß ein Mann links am Wegrand. In der einen Hand hielt er einen Apfel in der Anderen ein Messer. Er schaute mich an und sagte: „Magst du den Apfel mit mir gemeinsam essen – gemeinsam schmeckt es besser.“ Irgendwie war mir das fast unheimlich und doch real.
Ich setzte mich neben ihn und wir aßen den Apfel und unterhielten uns.
Dieses und auch viele folgende Erlebnisse machten meinen Jakobsweg sehr mystisch.
Die vielen Begegnungen und Gespräche waren einzigartig.
Fremde Menschen werden zu Freunden. Sprachkenntnisse werden aufgefrischt und extrem gefördert.
Etwa zehn Tage ging ich gemeinsam mit einem Engländer. Wir unterhielten uns unentwegt auf Englisch. Irgendwann fragte er mich, was „grape“ auf Deutsch heißt. Wir hatten uns ausgiebig über Wein unterhalten und ich war so tief in die englische Sprache abgetaucht, dass ich lange überlegen musste, dass wir „Weintraube“ dazu sagen.
Mein Engländer bekam solche Blasen an die Füße, dass er pausieren musste und wir uns trennten.
Man lernt auf den Körper und seine Bedürfnisse zu hören. Spürt wenn man eine Pause benötigt oder es Zeit ist, inne zu halten.
Der Tagesablauf wird zu einem Ritual. Morgens Aufwachen und frisch machen. Füße Einreiben und das Packen des Rucksackes perfektionieren. Natürlich nichts liegen lassen. Loslaufen und Frühstückspause machen. Planen wie weit man läuft. Unterkunft finden und man erfreut sich der kleinen Dinge. Ich habe ein Bett für die Nacht – ich habe eine Dusche – ich habe ein tolles Essen.
Aus dem Buch von Paulo Coelho hatte ich mir seine Exerzitien herausgeschrieben.
Einige davon praktizierte ich dann auch auf dem Weg.
Eine Übung verblüffte mich besonders.
Ablauf etwa so:
1. Hinsetzen – entspannen – Gedanken schweifen lassen. Zu sich selbst sagen: Ich bin jetzt ganz entspannt, und meine Augen schlafen den Schlaf der Welt
2. Wenn du spürst, dass sich dein Geist mit nichts mehr beschäftigt, stelle dir rechts neben dir eine Feuersäule vor. Visualisiere die lodernden Flammen und Strahlen. Sage dann leise: Ich befehle meinem Unterbewusstsein, sich zu manifestieren. Es möge sich mir öffnen und seine magischen Geheimnisse preisgeben. Warte ein wenig und konzentriere dich dabei nur auf die Feuersäule. Taucht irgendein Bild auf, dann ist es eine Manifestation deines Unterbewusstseins. Versuche es zu behalten.
3. Lasse die Feuersäule zu deiner Rechten weiter bestehen. Stelle dir nun auch eine solche Feuersäule zu deiner Linken vor. Wenn die Flammen lodern, sage leise folgendes: Möge die Kraft des Lammes, die sich in allen und in allem manifestiert, sich auch in mir manifestieren, während ich meinen Boten rufe. [Name des Boten] erscheine mir jetzt.
4. Rede mit deinem Boten, der sich zwischen beiden Säulen zeigen wird. Besprich mit ihm ein bestimmtes Problem, bitte ihn um Rat, und gib ihm die notwendigen Anweisungen.
5. Ist euer Gespräch zu Ende, verabschiede den Boten mit folgenden Worten: «Ich danke dem Lamm für das Wunder, das ich getan habe. Möge [Name des Boten] immer wiederkehren, wenn ich ihn rufe, und wenn er fern ist, möge er mir helfen, mein Werk zu vollbringen.«
Hinweis: Bei der ersten Anrufung beziehungsweise den ersten Anrufungen – und das richtet sich nach der Konzentrationsfähigkeit dessen, der das Ritual vollführt – soll der Name des Boten nicht genannt werden. Sage nur »er«. Wird das Ritual richtig durchgeführt, sollte der Bote seinen Namen sofort durch Telepathie enthüllen. Falls dies nicht geschieht, gib nicht auf, bis du seinen Namen erfährst. Erst dann beginnt das Gespräch. Je häufiger das Ritual wiederholt wird, desto stärker wird die Anwesenheit des Boten sein, und desto schneller wird er handeln.
Diese Übung machte ich, nach einer Tagesetappe, nachdem ich geduscht hatte und auf dem Bett saß. Wie in dem Ritual beschrieben, tauchte in der rechten Flammensäule ein Bild auf und ich merkte es mir. Nach der Übung fragte ich mich ständig was mir dieses Bild, welches ich sah, mir sagen könnte. Eine Antwort fand ich nicht. Dann läutete die Glocke des Klosters und lud ein, an einer Messe teilzunehmen. Zeit hatte ich genug und ging zur Kirche. Eine Kirche, welche ich noch nie zuvor betreten hatte, in einem Ort, wo ich noch nie zuvor gewesen war.
Ich lauschte der Messe, welche in sieben Sprachen vorgetragen wurde und schaute mich um, was es dort alles zu sehen gab. Hier lief es mir kalt den Rücken herunter…. An einer Wand hing ein Bild. Es war genau das Bild, welches ich in meiner Feuersäule gesehen hatte.
Wieder mal ein Erlebnis meines Jakobsweges, welches für mich faszinierend und mystisch zugleich war. Ich bin überzeugt, wer sich auf diesen Weg und seine Abenteuer einlässt, der wird ebenfalls solche Erfahrungen machen können. Aber auch alle anderen werden auf ihre Kosten kommen. Denn die Begegnungen mit den Pilgern sind mehr als wertvoll. Hier hilft jeder jedem – eine Hilfsbereitschaft, welche in unserem Alltagsleben verloren gegangen ist. Es ist eine große Gemeinschaft und jeder geht die gleiche Richtung. Alter und Geschlecht finden keine Beachtung – der Mensch zählt. Die Gespräche sind tiefgründig und ich möchte keines davon missen.
Freundschaften entstehen und sind nicht oberflächliche Begegnungen.
Oft hörte ich später zu Hause, man könne doch auch den Jakobsweg in unserer Nähe gehen. Ja, es gibt fast überall Jakobswege in der näheren Umgebung. Landschaftlich sind diese ganz sicher auch mehr als reizvoll. Aber sie haben zwei große Nachteile. Je weiter sie vom Pilgerort entfernt sind, umso seltener trifft man auf Pilger. Ja, es gibt dort Wanderer, aber nur sehr vereinzelt einen Pilger. Die tiefgründigen Gespräche wird man nicht führen können. Der zweite Nachteil: Unterkunft und Verpflegung. Klar finden wir bei uns Unterkünfte und auch ein gutes Essen. Die Frage ist jedoch, was wir dafür zahlen müssen. Wenn ich zusammenrechne, was pro Tag für Essen und Trinken zusammenkommt und zusätzlich für eine Übernachtung, so wird das einiges an Geld verschlingen.
Hier ein Beispiel von meinem Weg:
Vor Pamplona fand ich eine Unterkunft – es liegt noch recht am Anfang des Camino. Ich sehe das Haus und eine Frau kommt auf mich zu. „Schön, dass du bei uns übernachten möchtest – was isst du denn?“ Diese Worte verblüfften mich – was esse ich denn? Ganz normal eigentlich alles. Sie wollte wissen, ob ich nur vegetarische Küche mag und bat dann um den Pilgerpass. Ich trat ein und es sah aus wie in einem einfachen Hotel mit kleinen Tischen und Sesseln. Wenn man ca. sechs Wochen unterwegs sein wird, muss man auch etwas auf die Kosten achten die zusammenkommen. Also fragte ich: „Oh was kostet es denn hier?“ Sie blickte mich mit großen Augen an. „Wie was kostet das? Du bist doch unser Gast. Wir geben dir ein Bett, wir geben dir zu Essen und zu trinken. Als Gast kostet das nichts.“ Hier verstand ich die Welt nicht. Dann sagte sie: „Nun, wenn es dir gefallen hat und du die Mittel hast, kannst du uns gerne eine Spende hinterlassen.“
Eine Unterkunft auf Spendenbasis begegnete mir sehr oft. Auch an Verpflegungsstationen war fast immer „Donation“ also auf Spende. Wenn ich abends zum Essen in einer Bar war, kostete ein Pilgermenü meist ca. 10 €. Es war immer ein drei Gänge Menü incl. Einer Flasche Rotwein.
Oft gab es zu jedem Gang viele Auswahlmöglichkeiten und das Essen war üppig und sehr gut.
Natürlich hat sich auch hier etwas geändert – überall wurde es etwas teurer, aber noch immer supergünstig. 2023 fielen für Unterkunft 7-10 € an und ein Pilgermenü kostete da 12-15€.
Der Jakobsweg wird jedem das bieten was er braucht. Es gibt Seitenwege, welche fast menschenleer sind und auch Hauptwege wo mehr Betrieb herrscht. Man findet einfache Herbergen, kann aber auch in kleinen Hostels zu einem humanen Preis unterkommen. Sucht man Gesellschaft, wird man sie sicher finden, sucht man Ruhe und Abgeschiedenheit ist dies auch möglich – trotz ca. 200.000 Pilgern, welche dort jedes Jahr auf dem Weg sind.
Auf jeden Fall ist es eine Reise, weg von Alltagsproblemen und Stress. Alles was auf der Welt passiert, rückt in weite Ferne. Es ist eine eigene Welt, in welcher man zu sich selbst findet. Ein Weg der sicher auch der Gesundheit dient, denn man ist den ganzen Tag an der frischen Luft und die meisten werden sich wohl auf 20-25 Kilometer täglich einpendeln.
