
Vor vielen Jahren sprach mich ein Freund an, der den Jakobsweg gehen wollte. Damals erklärte ich ihn für verrückt. Wie kommt jemand auf die Idee, 800 Kilometer (oft auch viel mehr) zu Fuß am Stück zu laufen? Wer opfert seinen kompletten Jahresurlaub dafür und nimmt diese Strapazen auf sich? Warum macht das jemand?
Heute denke ich anders darüber – warum, das möchte ich gerne erklären.
Dazu sollte man aber ein paar Details zu diesem Weg kennen.
Der Jakobsweg ist ein Pilgerweg. Angeblich ruhen die Gebeine des Apostels Jakobus in der Kathedrale in Santiago de Compostela. Aus diesem Grund pilgern seit Jahrhunderten Menschen zu diesem heiligen Ort. Andere Pilgerorte sind Rom und Jerusalem. Aber der wohl bekannteste Weg ist der nach Santiago. Es gibt nicht den „einen Weg“, nein es sind sehr viele Wege, welche sternförmig quer durch Europa dorthin zu diesem zentralen Punkt führen.
Dieser Weg ist ganz sicher unzweifelhaft mit der christlichen Religion verbunden – warum sollte jemand sich auf diesen Weg machen, der an dem christlichen Glauben zweifelt oder ihn gar ablehnt?
Schon damals – und wohl auch heute noch – dient(e) solch eine Pilgerreise auch zum Bereuen von Taten. Wer gegen christliche Gebote verstieß, sollte Buße tun. So wurden u.a. Straftäter wie z.B. Diebe auf diesen Weg geschickt, um ihre Missetaten zu erkennen und zu bereuen.

In der heutigen Zeit hat sich der Weg sehr gewandelt. Ganz sicher gehen ihn viele noch aus religiösen Gründen, aber ein großer Teil hat völlig andere Beweggründe. Bei manchen sind es sportliche Herausforderungen, andere wollen die Natur oder ein Abenteuer erleben. Ich möchte behaupten, dass jeder, der diesen Weg geht, irgendein Problem hat, für welches er eine Lösung sucht. Sei es eine Krankheit, ein familiäres oder berufliches Problem – egal was es ist, man möchte Antworten finden und etwas ändern. Es sind sehr individuelle Gründe.
Aber warum sollte eine Hexe denn diesen Weg gehen? Die Frage lässt sich recht einfach beantworten, wenn man sich einige Grundlagen einer Hexe anschaut. Was lernt man schon direkt zu Beginn? Erde dich – meditiere – erkenne dich selbst und sei naturverbunden, um nur einige zu nennen.
Der Jakobsweg wird unentwegt Möglichkeiten bieten, zu sich selbst zu finden und zu erkennen was wichtig und gut für einen Selbst ist. Zeit zum reflektieren gibt es jeden Tag.
Aber es scheint, dass es noch mehr gibt. Viele beschreiben den Weg als mystisch. Er strahlt etwas aus und hat eine magische Anziehungskraft.

Mein erster Jakobsweg
Anfang Juni war es so weit. Die Wochen zuvor begleitete mich die Euphorie und ich freute mich sehr auf das Abenteuer. Zwei Tage zuvor kamen plötzlich Zweifel. Schaffe ich das? Bin ich dieser Herausforderung gewachsen – besonders nach der Krankheit und dem Hintergrund, dass ich einige Medikamente benötige. Auf jeden Fall wollte ich diesen Weg alleine antreten.
Mit dem Flixbus fuhr ich über Paris bis nach Bayonne. Eine sehr günstige Variante, zum Startpunkt zu gelangen. Aber andere Varianten per Bahn oder Flugzeug haben etwas die gleiche Reisezeit, kosten aber einiges mehr.
Als ich im Bus saß, waren alle Bedenken in den Hintergrund getreten und die Freude auf das Unbekannte siegte. Schon hier lernte ich den ersten Pilger kennen – ein Arzt aus NRW.
Eine Übernachtung in Bayonne und dann ging es mit einem Bus, die Bahn streikte, nach Saint Jean Pied de Port, wo wir am späten Vormittag ankamen.
Ein kurzer Rundgang durch den Ort und der erste Stempel im Pilgerpass beim Pilgerbüro. Dort meinte man, ich würde den Weg nicht schaffen. Auf die Frage warum, deutete der Mann auf meinen Rucksack. Ich solle ihn an die Waage hängen – er sei zu schwer. OK 17,5 Kg war wirklich sehr viel, aber ich war überzeugt, dass ich alles auch brauche für die kommenden Wochen.
Dann musste ich mich sputen, denn meine erste Reservierung in Orisson würde bald verfallen.
Orisson ist ein Zwischenziel, wenn man nicht am ersten Tag die Pyrenäen am Stück überqueren möchte. Normal wäre die erste Etappe ca. 28 Km bis Roncesvalles in Spanien mit einem beachtlichen Höhenunterschied. Ich wollte mich langsam steigern und in Orisson übernachten.
Gerade noch rechtzeitig kam ich dort auch gegen 15:00h an.
Ein Nachtlager mit ca. 10 Betten im Raum und die ersten Versuche das benötigte im Rucksack zu finden. Duschen, Wäsche waschen und zum Trocknen aufhängen – ein Ritual, welches in den kommenden Tagen immer wieder auf der Tagesordnung stand. Dann aber auf die Terrasse und ein Bier trinken. Im Refuge Orisson ist es Brauch, dass nach dem Essen eine Vorstellungsrunde ist. Hier lernte ich Pilger aus aller Welt kennen – sie begegneten mir die kommenden Tage immer wieder. Noch heute habe ich sehr guten Kontakt zu ihnen. Es sind gute Freunde geworden.
Bei einem Glas Wein hatte ich hier die ersten Erlebnisse, welche den Weg für mich besonders machen.

Eine fremde Frau setzte sich zu mir, breitete Karten aus und bat mich eine zu ziehen. Ich fragte mich, was das soll, aber zog eine. Als ich die Karte betrachtete stand darauf „Buen Humor“. Als ich ihr die Karte zurückgeben wollte, sagte sie: „Nein behalte sie – diese Karte wird dich auf dem Weg begleiten.“ Dann stand sie auf und ging. Ich steckte die Karte ein, aber es erschien mir sehr merkwürdig.
Wenig später setzte sich ein Mann zu mir. Er erhob sein Weinglas und sagte: „Der Weg wird dir geben, was du brauchst – er wird dir nicht geben was du willst.“ Dann sagte er nur noch „salute“, stand auf und ging wieder. Er hatte sich nicht vorgestellt, außer diesen Worten nichts gesagt. Wo war ich hingeraten? Es erschien mir sehr merkwürdig.
Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück weiter in die Berge. Mitten auf dem Weg eine Verpflegungsstation. Einige Pilger machten eine Pause und man unterhielt sich.
Auch ein Stück lief man zusammen und es wurden Gespräche geführt. Eine mag schneller gehen, andere können nur langsamer und so begegnete man sich und trennte sich auch.
Der Weg über die Pyrenäen ist sehr schön, aber auch anstrengend.
Wer schon im Mai startet, wird nicht selten dort Schnee und Kälte antreffen – manchmal ist der Pass dann auch gesperrt.
Steil hinunter führt der Weg hinunter nach Roncesvalles. Die meisten nutzen die Herberge, andere finden dort Unterkunft in einer kleinen Pension. Wo in Hape Kerkelings Film diese Herberge noch riesige Schlafräume gezeigt wurden, war jetzt schon sehr modernisiert worden. Getrennte Parzellen mit je zwei Stockbetten und saubere Sanitäranlagen waren inzwischen vorhanden. Hier traf ich wieder bekannte Gesichter aus Orisson. Ein gutes Pilgermenü und Rotwein waren ein toller Abschluß des Tages.
Die Tagesetappen sind für viele etwa gleich. So trifft man Bekannte jeden Tag auf dem Weg, bei einer Pause oder abends in der Unterkunft oder einem Ort, wo in einer Bar sich mehrere treffen.
(Fortsetzung folgt…)