Der Zeiler Hexenturm

Weil ich mich schon seit einiger Zeit mit dem Thema Hexenverfolgung beschäftige, kam ich irgendwann auch auf die Hexenverbrennungen in meiner Heimat Franken, wo sie besonders stark gewütet haben. Immer wieder stechen dabei vor allem die Bistümer Würzburg und Bamberg ins Auge, die heute auch Gegenstand zahlreicher Bücher sind.

Beim Recherchieren bin ich dann durch Zufall auf die Stadt Zeil am Main gestoßen, die knapp 30 km nordwestlich von Bamberg im heutigen Landkreis Hassberge liegt. In diesem beschaulichen Städtchen hat die Hexenverfolgung damals einen großen Teil der Einwohner dahingerafft und sogar den eigenen Bürgermeister brennen lassen. Das Besondere an der Stadt ist jedoch, dass sie sich ihrer dunklen Vergangenheit gestellt hat und im Zuge der Aufarbeitung im Jahr 2011 ein eigenes Hexendokumentationszentrum eröffnet hat.

Das wollte ich mit eigenen Augen sehen, deswegen habe ich mich auf den Weg nach Zeil gemacht. Schon bei der Anreise mit dem Zug fiel mir die schöne Landschaft mit zahlreichen Hügeln, Weinbergen und Wäldern auf; die Stadt selbst wirkt gemütlich, die zahlreichen Fachwerkhäuser und liebevoll restaurierten Gebäude atmen die Atmosphäre einer lange vergangenen Zeit aus. Schon von weitem sticht einem hinter den Giebeln der Marktplatzhäuser eine Turmspitze ins Auge: der Hexenturm. Als Hexenturm werden Türme an mittelalterlichen Stadtbefestigungen (also Stadtmauern) bezeichnet, die früher als Gefängnis dienten. Zwar nicht nur für Hexen, aber durch die Verfolgungswelle der selbigen haben die Gebäude sich wohl ihren Namen erhalten. In zahlreichen Städten haben sich die Türme erhalten, über ihre schauerliche Funktion wird aber selten gesprochen.

Das Dokumentationszentrum in Zeil ist tatsächlich in jenem Gefängnisturm mit dem daran angeschlossenen so g. Fronhaus untergebracht – besser hätte man die Wahl einer solchen Einrichtung wohl kaum treffen können. Als wir in das Zentrum eintreten, werden wir sehr freundlich begrüßt und mit zahlreichen Informationen zum Aufbau des Zentrums sowie der Stadtgeschichte bedacht. Das Zentrum beinhaltet neben der Dauerausstellung zur Hexenverfolgung in Zeil einen kleinen Seminarraum sowie wechselnde Ausstellungen im Dachgeschoss des Gebäudes. Zum Zeitpunkt meines Besuchs war das Thema der Ausstellung „Das Tagebuch des Johannes Langhans“ – einem Bürgermeister von Zeil, der damals selbst in das Kreuzfeuer der Verfolgungen geriet und 1628 verbrannt wurde. Das besondere an der Person Langhans war einerseits seine Position als Bürgermeister, denn oftmals wird fälschlicherweise angenommen, die Hexenverfolgung hätte nur arme Personen und Frauen betroffen; zum anderen hat Langhans sehr ausführlich Tagebuch geführt und darin die letzte Phase seines Lebens vor seiner Hinrichtung genau dokumentiert. Es ist ein großes Glück, dass dieses Tagebuch erhalten geblieben ist und heute als Geschichtsdokument Einblicke in die Prozesse dieses dunklen Kapitels gibt.

Wir begeben uns die steile Treppe nach oben ins erste Geschoss in die Dauerausstellung. Viel gibt es dort zu lesen, die liebevoll aufbereiteten und präsentierten Informationen an Wänden und Säulen geben tiefe Einblicke in die Zeit und Politik bis ca. 1631, als über 100 Jahre lang Unruhen und Hinrichtungen an der Tagesordnung waren. Die Gründe sind wie vielerorts: die reformationsbedingten Unruhen, Auswirkungen des Bauernkriegs, Unwetter und klimabedingte Missernten, wechselnde Herrscher, das Wüten der Pest und die Suche nach einem Sündenbock (wer detailliertere Informationen dazu haben möchte, kann sich dazu den Auszug „Aus der Chronik der Stadt Zeil“ auf Hexen Franken durchlesen). Wir lesen auch von den Tätern und ihren Beweggründen. Wir lesen von den Opfern, die erstaunlich oft Rang und Namen hatten und männlichen Geschlechts waren. Besonders deutlich wird die Willkür, als Opfer beschuldigt zu werden, bei einer der Installationen an einer Säule: dort ist eine Klappe mit dem Wort „Opfer“ darauf angebracht, die beim Öffnen einen Spiegel enthüllt. Man blickt etwas verwirrt hinein, bis man darunter den Satz: „Ein mögliches Opfer der Hexenprozesse“ liest. So einfach war das!

Wir erfuhren weiterhin, dass das benachbarte Bamberg, das seinerseits eine Hochburg der Hexenverfolgung darstellte, dazu überging, zahlreiche als Opfer angeklagte Personen aus Bamberg nach Zeil zu bringen, wo sie gefoltert und anschließend verbrannt wurden. Die Auslagerung des „schmutzigen Teils“ der Prozesse diente hier wohl dazu, um Aufstände in der Stadt Bamberg zu vermeiden. Bei den großen Zahlen der Opfer hatte man wohl Bedenken, dass die Menschen unruhig werden könnten.

Um nun den zahlreichen dazugewonnenen Opfern Herr zu werden, überlegte man sich in Zeil daraufhin eine ganz besonders perfide Methode zur Beseitigung der toten Körper: ein eigens zu diesem Zweck entworfener Verbrennungsofen ließ die Leichen, die man auf einer Art Rost über den Flammen grillte, schneller und effizienter einäschern als die bisherige Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.

Spärliche Beleuchtung im Hexenturm

Wer sich jetzt noch kein Beklemmungsgefühl in der Brust hat, bekommt es spätestens beim Gang durch den angeschlossenen Multimedia-Teil der Ausstellung. Hinter einem schwarzen Vorhang erwarten einen dunkle Räume ohne Tageslicht mit Licht- und Toninstallationen, die das Gefühl einer Person, die als Opfer der Verfolgung auf dem Weg zur Folter oder zum Scheiterhaufen ist, nachbilden soll. Teuflische Geräusche strömen auf einen ein, ein Ächzen, Seufzen, Dröhnen; auf den unebenen Böden mit eingebauten Schrägen kommt man nur langsam voran und muss aufpassen, nicht zu stolpern, auch weil man abgelenkt ist von der verstörenden Filminstallation an den Wänden, die Fragmente verstörender Bilder, Flammen, Farben zeigen, es flackert, schwirrt, dröhnt, hallt aus allen Ecken und Enden, man ist gefangen in dieser Hölle der Sinneseindrücke. Ein begehbarer Alptraum, der im dunkelsten Teil des Zentrums endet: dem Zugang zum Hexenturm selbst und somit dem so g. Angstloch. Wir treten ein in den Turm, es wird schlagartig kalt. Es ist März und der Turm ist schonungslos durchlässig. Nur einige Infotafeln sowie die hölzernen Treppen sind schwach beleuchtet. Es riecht alt und hölzern, außerdem schwingt eine nicht bestimmbare, irgendwie ungute Note mit. Vielleicht waren das zu viele Eindrücke für mein Gehirn, so dass meine Nase jetzt auch noch verwirrt ist, denke ich bei mir.

Blick nach oben zum Angstloch

Ich traue mich auf den hölzernen Treppen, durch die man hindurchsehen kann, nur langsam nach unten, halte mich am Geländer fest, muss öfter anhalten, weil mir etwas schwindlig ist.

In der Mitte des Turms ist ein quadratisches Loch in den Boden eingelassen, das jetzt mit einer Plexiglasscheibe bedeckt ist. Da ist er, der Eingang zum Gefängnis. Durch dieses Loch wurden die Gefangenen mit Seilen Meter um Meter nach unten in den Keller des Turms gelassen, wo sie nach erfolgreicher Folter auf ihre Hinrichtung gewartet haben. Wir gehen langsam alle Stockwerke nach unten. Auf einem Absatz ist eine große x-förmige Tafel angebracht, die die Namen aller hier in Zeil gefolterten und verbrannten Opfer beherbergt. Der Versuch, die eigene Geschichte aufzuarbeiten, ist kein leichter. Doch hier hat man sich Mühe gegeben; die Opfer sollten nicht namenlose Tote bleiben, sondern mit ihren Namen und einer Identität erinnert werden.

Die kreuzförmige Tafel mit den Namen der Opfer

Irgendwann stehen wir in der eigentlichen Gefängniszelle am Boden des Turms. Das Gefühl ist beklemmend, die Luft kalt und feucht. An einer Mauer hat einer der Gefangenen offenbar versucht, seine Initialen in die Wand zu ritzen, wie uns ein daneben angebrachtes Infoschild verrät – letzte Verzweiflungstaten…

Lange kann ich hier nicht bleiben, mir ist inzwischen bitterkalt und ich fühle mich irgendwie unwohl. Es ist ein seltsames Gefühl, an genau der Stelle zu stehen, an der so viele gefolterte Menschen einst auf ihren Tod gewartet haben. Wenn diese Mauern Geschichten erzählen könnten…

Durch die später in die Gefängniszelle eingebrachte Tür gelangen wir nach draußen auf die Straße. Wir gehen nochmals zum Tresen des Dokumentationszentrums, schildern kurz unsere Eindrücke, plaudern mit der netten Dame dort und lasse mir noch ein paar Buchempfehlungen geben.

Jedem, der Interesse am Thema Hexenverfolgung hat, sei das Hexendokumentationszentrum Zeiler Hexenturm hiermit wärmstens empfohlen. Es ist klein, aber es steckt viel Herzblut darin und die Tatsache, dass es direkt am Ort des Geschehens untergebracht ist, mach den Besuch zu einem authentischen Erlebnis.

Quellen und weiterführende Links:

Geschrieben von Anmara
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2 thoughts on “Der Zeiler Hexenturm

  • Wahnsinn, wie klein die Welt ist. Mein Fitnessstudio ist in Zeil. 😂 Und den Hexenturm wollen wir unbedingt mal ansehen.
    Schön dokumentiert, tolle Fotos!

    Sandra

    • Hallo Sandra,
      lieben Dank für deinen Kommentar! Ja, die Neugierigen sind überall unterwegs. 😀 Ich freue mich, wenn dir der Beitrag gefallen hat und du vielleicht bald selbst den Hexenturm besuchst und selbst auf eine kleine Zeitreise gehst.
      Liebe Grüße

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